Katrin von Maltzahn: English for You. In: Sklaven Nr. 19 (1995). P 22-25
Der Fremdsprachenunterricht in Deutschland nach 1945 stand unter dem Einfluss der Besatzungsmächte England, Amerika, Frankreich, Russland. In den Westzonen wurden Englisch und Französisch schnell selbstverständlich. In der russisch besetzten Zone, ab 1949 DDR, begann man zunächst nur mit Russisch. Während der 50er Jahre etablierte sich Englisch in der westlichen Welt als Sprache der Wissenschaft und Technik. Seit den 60er Jahren beeinflusst die englische Sprache die westliche Jugendkultur und avancierte sehr schnell zur Leitsprache der Popkultur.
Aus Gründen der aufkommenden neuen Technologien und zur Ankurbelung der eigenen Ökonomie rehabilitierte Walter Ulbricht (Vorsitzender des Staatsrats der DDR von 1956 bis 1973) im Jahr 1958 per Dekret den Englischunterricht in der DDR. Das galt als ein großer Schritt, weil Englisch als die Sprache des Kapitalismus galt. Die Bedingungen in der DDR waren nicht einfach, da es so gut wie keine Möglichkeiten gab, ins englischsprachige Ausland zu reisen und deshalb fast niemand die englische Sprache fließend beherrschte. Zur Unterstützung der Englischlehrer und als Erleichterung für die Lernenden wurde 1962 im Volksbildungsministerium die Produktion des englischen Fernsehsprachkurses "English for you" beschlossen. Die Dokumentationsfilmstudios der DEFA in Babelsberg produzierten von 1963 bis 1966 dann 35 Sendungen. 1965 hatte die erste Sendung im Fernsehfunk der DDR Premiere. Der Fernsehkurs hatte Leitfunktion in der gesamten DDR. Da das Anschauen der Sendungen an die offiziellen Sendezeiten gebunden war, musste der Englischunterricht für das gesamte interessierte Volk gleich gestaltet werden.
Für die Produktion der Sendungen wurden englische Muttersprachler gesucht. Man trachtete damals danach, Leute, die mit der DDR sympathisierten, als Schauspieler zu gewinnen. Die Engländerin Diana Loeser lebte bereits in der DDR. Sie war als Kommunistin 1956 mit ihrem Mann, einem deutschen Emigranten, von England in die DDR übergesiedelt. In der Sendung übernahm sie die Rolle der Lektorin und Sprecherin. Die Hauptrollen der Episoden wurden durch Alan Clarke, als Tom, und Valery Lester, als Peggy, besetzt. Alan, ein englischer Schauspieler, der aus einer bekannten kommunistischen Familie stammte, wurde von Diana Loeser für die Sendung engagiert. Valery Lester lebte aus persönlichen Gründen für einige Jahre in der DDR. Ansonsten improvisierte man mit Ehepartnern und Freunden als Mitspieler der Nebenrollen. Die Drehbücher wurden von Pädagogen geschrieben, die keine Engländer waren. Dadurch entwickelten sich lebhafte Auseinandersetzungen aller Beteiligten über die Echtheit dessen, was repräsentiert werden sollte.
Leider sind diese alten Sendungen nicht mehr erhalten. Ende der 70er Jahre gab es eine Neuproduktion von 53 Serien. Dieses Mal wurden englische Schauspieler per Annonce in England gesucht, deren Motivation weniger politisch bestimmt war. Mittlerweile war die DDR international als Staat anerkannt worden, was sich teilweise auch inhaltlich in den Sendungen niederschlug. Etliche Episoden thematisieren jetzt internationalen Handel und Tourismus in der DDR. Im Großen und Ganzen hat sich an dem Programm jedoch nicht viel verändert.
"English for you" als das östliche Pendant zu der im Westen produzierten Sendung "Walter und Conny" ist unter sehr verschiedenen Bedingungen entstanden. Hier hat ein Staat das Bild eines ihm fremden Landes, das keiner seiner Buerger erleben konnte, produziert. Es entstanden u. a. Sendungen zu Themen wie Karl Marx, Arbeitslosigkeit, Streik, Gewerkschaften, Mietpreise, soziale Bedingungen, die klar die DDR-Perspektive widerspiegeln. Trotz fremder Sprache hat man versucht die eigene Ideologie, Interpretationsweise, eigene Erfahrungen, Werte und eigene Sprachpraxis zu projizieren. Im westlichen Gegenstück wurde durch eine englische Institution (BBC) selbst ein Bild von England geschaffen, das wahrscheinlich einen Einblick in das so genannte "normale" englische Leben gewähren sollte. Die Schilderungen von "Normalität" in harmlosen Episoden über ein englisches Pärchen fügen sich in die doktrinären und verallgemeinernden Werte, Normen und Rollenspiele der 60er und 70er Jahre.
Interview mit Alan Clarke
Katrin: Du hast die Schauspielerei nach "English for you" aufgegeben?
Alan: Ja, "English for you" war das letzte Mal, dass ich als Schauspieler gearbeitet habe. Danach wollte ich nicht mehr. Ich habe dann hauptsächlich Regie geführt, geschrieben, Stücke übersetzt und schließlich als Dozent gearbeitet. Momentan entwickle ich integrative europäische Projekte. Deswegen bin ich auch wieder öfter in Berlin.
Katrin: Was sind das für Projekte?
Alan: Es geht dabei um soziale Jugendarbeit. Ich organisiere europaweit Berufsqualifikationen im Medienbereich. Das betrifft vor allem junge Erwachsene, die sich nicht in das übliche Ausbildungssystem integrieren lassen. Dafür versuche ich, auf internationaler Ebene Partner zusammenzubringen und Erfahrungen auszutauschen. Ich habe Kontakt mit Deutschen, Engländern, Franzosen, Spaniern, Iren, in Schwerin, Bremen, Berlin, Portugal und Griechenland.
Katrin: Hat das mit deinem Uni-Job zu tun?
Alan: Sheffield College ist eine Art Fachoberschule. Ich war früher an der Uni, hatte dann allerdings mehr Lust, in berufspraktischen Bereichen zu arbeiten. Da sehe ich für mich mehr Möglichkeiten, Dinge zu ändern.
Katrin: Es war interessant, dich neulich in Berlin getroffen zu haben. Du hast mich motiviert, mehr über "English for you" zu recherchieren und ich bin mittlerweile schon ziemlich weit gekommen, vor allem was Quellen, Namen und Hintergründe betrifft. Wie schon erzählt, habe ich mittlerweile Diana Loeser getroffen. Sie hat zwar, wie du, an der Neuproduktion von "English for you" nicht mehr mitgearbeitet, aber...
Alan: Diana kennt die meisten Leute und Geschichten. Die zweite Produktion in den 70er Jahren, war eine andere Sache. Da lief alles viel kommerzieller. Ich weiß das, denn ich habe später einmal mit dem neuen "Tom" gesprochen.
Katrin: Dave und Jenny hießen die Neuen.
Alan: Ich habe die zweite Sendung nie gesehen, aber die Haltung der Schauspieler dazu gefiel mir absolut nicht. Der den ich traf, erzählte immer nur davon, wie schlimm die Bedingungen waren und wie schrecklich er die DDR fand. Nein, mit seiner Haltung kam und komm' ich überhaupt nicht klar. Er sieht nur die negativen Seiten. Natürlich gab es viele Probleme, aber der war von der Sorte "ich mache die Arbeit und komme zurück". Das war eben nur irgendein Job für ihn, den er machte, weil es hier in England keine Arbeit gab.
Katrin: Die 2. Sendung ist entstanden, weil die DDR mittlerweile anerkannt war. Sie ist vom Prinzip her gar nicht so anders, man hat allerdings mehr in England selbst drehen können.
Alan: Von der Qualität war alles ziemlich primitiv, weil die technischen Bedingungen eben schlecht waren. Sicherlich hat man von unserer Sendung gelernt und 10 Jahre später alles ein bisschen besser machen können. Wir haben übrigens auch zwei Mal in England gedreht, in London und in Coventry.
Katrin: Wie bist du eigentlich an diesen Job gekommen?
Alan: Durch Stanley Forman. Er kannte meine Familie. Mein Vater arbeitete als Chirurg und war engagierter Kommunist, mein Stiefvater war Chefredakteur beim "Daily Worker". Deswegen und durch die Friedensbewegung ist meine Familie in der Kommunistenszene ziemlich bekannt gewesen. Einmal war ich als Schauspieler auf Englandtournee. In jedem, noch so kleinem Ort gab es Bekannte durch die Partei, bei denen ich Unterschlupf finden konnte. Persönlich kannte ich niemanden davon.
Katrin: Warst du auch Mitglied der Kommunistischen Partei?
Alan: Ja, natürlich, das war auch ein Grund für meinen Aufenthalt in der DDR und das Engagement bei DEFA-Dok.
Katrin: Wie hat Stanley dich engagiert?
Alan: Er hat über meine Mutter Kontakt zu mir aufgenommen. Ich hatte mich eigentlich schon entschieden, nicht mehr als Schauspieler zu arbeiten. Ich wollte studieren und war dabei, neben einem Job in einem Schreibwarenladen, auf einer Abendschule mein Abitur nachzuholen. Da tauchte Stanley auf, und erzählte von dem Programm und, dass die Produktion nur ein paar Monate dauern würde. Also drehten wir eine Probesendung bei Stanley im Büro-, die dann zum Ministerium für Volksbildung der DDR geschickt wurde. Dort war man einverstanden und dann bin ich im Oktober '65 in die DDR gezogen. Dort wurden erst einen Monat lang Probeaufnahmen gemacht, bis ich schließlich einen richtigen Vertrag bekam.
Katrin: Es gab ja schon die Mauer damals, Osten und Westen waren von einander getrennt. Erinnerst du dich, was du für ein Gefühl dabei hattest, in die DDR zu ziehen?
Alan: Als Kommunist war das für mich nicht abschreckend, sondern eine Herausforderung. außerdem war ich sehr am Theater in der DDR, insbesondere an Brecht interessiert. Es bedeutete mir enorm viel, dass ich jetzt wirklich Brecht am Berliner Ensemble studieren konnte. Trotzdem waren wir natürlich sehr naiv und da war viel Abenteuerlust mit im Spiel. Ich erinnere mich, dass meine Freundin und spätere Frau damals immer einen roten Mantel trug, weil sie wie eine Kommunistin aussehen wollte. Das war natürlich ziemlich peinlich. Für mich war die DDR ein neues Land, das ich kennen lernen wollte. Ich kannte die Propaganda, dachte mir aber, es müsse noch andere Seiten geben.
Katrin: Was hast du außer "English for you" noch in der DDR gemacht?
Alan: Nachdem die Produktion beendet war, habe ich die Möglichkeit bekommen zu studieren und an der Humboldt-Uni zu arbeiten. Im Nachhinein war das der wichtigste Teil meines Aufenthaltes. "English for you" war auch o.k., aber es gab eine Menge Probleme.
Katrin: War das denn ein richtiger Full-Time-Job?
Alan: Ja, zuerst dachte ich, dass dauere nur ein paar Monate. Ich habe nicht geahnt, dass ich daran dann fast 2 Jahre arbeiten sollte. Ich bin so ziemlich als Letzter zum Team gestoßen. Valery (Peggy) war schon länger da. Sie ist in die DDR gezogen, weil sie John Green heiraten wollte. John hatte ein Stipendium an der Filmschule Potsdam. Inzwischen hatte er eine deutsche Frau kennen gelernt. Das muss ziemlich hart für Valerie gewesen sein. Sie war wohl ziemlich verloren, bis das Angebot von DEFA-Dok kam. Diana war auch schon dort. Sie hatte in Coventry einen deutschen Emigranten geheiratet, mit dem sie Ende der 40er Jahre zurück in die DDR gezogen ist. Vor "English for you" gab es "Russisch for you ". Das war das große Vorbild. Ich fand, es war ein ausgesprochenes DEFA-England, was dort produziert wurde. Das war nicht wirklich England. Wir versuchten immer etwas dagegen zu tun, aber das war sehr schwer, da die Verantwortlichen ausschließlich durch die "DDR-Brille" schauten
Katrin: Wie habt Ihr versucht, Einfluss zu nehmen?
Alan: Wir hatten ständig Gespräche und Auseinandersetzungen. Zum Schluss haben wir tatsächlich viele der Sendungen geschrieben und umgeschrieben.
Katrin: Und das wurde akzeptiert?
Alan: Irgendwann, ja. Es waren verschiedene Leute an der Sprachsendung beteiligt. Einmal die Sprachwissenschaftler, die kamen direkt vom Ministerium. Bernd Dammasch war Sprachberater. Mit ihm kamen wir gut aus, obwohl er ziemlich stur war und ständig sagte, "Nein, so geht das nicht!". Letztendlich haben wir uns dann doch immer friedlich geeinigt. Auf der anderen Seite gab es die Produktionsmannschaft mit dem Hauptregisseur Erich Bartel. Der war unser Onkel Erich. Er war herrlich und hielt die ganze Sache zusammen.
Katrin: Aber war es tatsächlich möglich, dass Schauspieler in die inhaltliche Produktion involviert wurden?
Alan: Wir sind einfach aus der Notwendigkeit heraus darein gedrängt worden. Es war uns ein Bedürfnis. Wir waren sehr bewusst, weil die Arbeit eben nicht nur einfach ein Job für uns war, sondern wir als überzeugte Kommunisten wollten, dass ein echtes Bild von England produziert wurde. Wir sagten uns, es bringe gar nichts, wenn die Leute so ein altmodisches romantisches oder ein falsches Bild bekämen. Sie sollten wissen, wie es wirklich ist. Deswegen haben wir versucht und zum Teil ist es uns auch gelungen, uns durchzusetzen. Das was uns für Texte, Situationen und Kulissen vorgegeben wurde, stimmte einfach überhaupt nicht.
Katrin: Die Themen, ob nun Gewerkschaft, Arbeits-, Wohnsituation u.s.w.. sind für eure politische Arbeit sicher sowieso wichtig gewesen, oder?
Alan: Ja, gerade deshalb fühlten wir uns verpflichtet, inhaltlich einzugreifen und die Dinge einigermaßen richtig rüberzubringen. Zwar waren die Sendungen am Ende nicht perfekt, aber auf jeden Fall ein bisschen besser. Die Produzenten hatten einfach absolut keine Ahnung. Sie haben extrem vereinfacht, nichts stimmte.
Katrin: Dann gab es 1966 die Sendungen plötzlich im Fernsehen. Wie ist von Seiten der Zuschauer darauf reagiert worden?
Alan: Zunächst kamen Vorwürfe, weil wir alle zu schnell sprachen. Ansonsten war die Resonanz sehr positiv. Zum ersten Mal sah man Engländer im Fernsehen und erfuhr von einem westlichen Land, was sonst nur durch das in der DDR verbotene Westfernsehen möglich war. Wir haben viele Briefe bekommen und etliche Schulen auch besucht. Die jungen Leute fühlten sich angesprochen. Sie konnten sich mit den Episoden identifizieren. Wir waren jemand von ihnen und nicht von Drüben, ich glaube, das war wichtig. Von Dok-Film wurden wir allerdings ziemlich schlecht behandelt. Die machten ihren Job und nicht mehr. Unser Antrieb war eigentlich immer: "Wenn die Qualität schlecht ist, wäre es Schade um die Kinder".
Katrin: Wann bist du zurück nach England gegangen?
Alan: 1972, eine Woche nachdem ich in Theaterwissenschaften promoviert hatte.
Katrin: Hattest du nie mit dem Gedanken gespielt, in der DDR zu bleiben?
Alan: Ja, natürlich - aber aus persönlichen Gründen ging das nicht. Ich allein wäre gerne dort geblieben und hätte wahrscheinlich am Theater als Dramaturg, Regisseur oder so gearbeitet. Unser Aufenthalt bedeutete allerdings auch ein Teil einer größeren Aufgabe. Ich wollte von der DDR lernen und die Erfahrungen dann mit zurück nach England nehmen. Es gab die politische Aufgabe für Kommunisten, alles in einem breiteren Rahmen zu sehen. Das war Teil des Internationalismus. Deshalb sagte ich mir, ich hätte eine Aufgabe in England. Genauso wie ich in der DDR versucht hatte, ein echtes Bild von England zu zeigen, wollte ich in England ein echtes Bild von der DDR zeigen. Natürlich war das keine leichte Aufgabe.
Katrin: Inwiefern hast du die DDR damals kritisch betrachtet?
Alan: Was ich sehr kritisch gesehen habe und wofür ich mich durch meine Arbeit versuchte zu engagieren, war das einseitige und falsche Bild, das vom Westen vermittelt wurde. Es gab auch eine Menge Widersprüche innerhalb der DDR: erst waren die Beatles als typisch kapitalistisches Phänomen verboten und ein Jahr später kam in der DDR eine Platte von ihnen heraus. Trotzdem, dadurch, dass ich so mittendrin gelebt habe, war ich an die Situation dort gewöhnt. Natürlich gab es Probleme. Aber, man versuchte sich durchzuboxen und durch Eigeninitiative Dinge zu ändern. außerdem war mir klar, dass viele Dinge, über die man in der DDR klagte, im Westen auch nicht besser waren.
Katrin: Bist du oft in den Westen gefahren?
Alan: Nein, sehr selten. Eigentlich fühlte ich mich zu Hause in Ostberlin. Die meisten anderen Engländer waren Teil eines Emigrantenkreises. Ich und meine Frau zogen es vor, mit Deutschen zusammen zu sein. Die Engländer meckerten und stöhnten ständig. Das hat mich nicht interessiert. Ich war in der DDR und wollte leben wie die Deutschen.
Katrin: Wie ordnest du diese Zeit heute in den Verlauf deines Lebens ein?
Alan: Für mich war das ein Wendepunkt in meinem Leben. Seit einiger Zeit habe ich beruflich wieder in Berlin zu tun und ich fühle mich am Prenzlauer Berg noch immer wie zu Hause. Heute habe ich andere Verbindungen, auch zu der jüngeren Generation, zu den "English for you" - Kindern. Ich merke, dass im Ostteil Berlins eine gewisse Grundhaltung geblieben ist, die ich sehr schätze. Man ist dort sehr offen und vertraut einander mehr, als das im Westen üblich ist.